Questa sessione è disponibile anche in italiano:Scienza e tecne al tempo del Covid-19

This session is also available in English:Scienza e tecne al tempo del Covid-19

Die Politik von und hinter Technologien wird in einer Zeit wie dieser viel offensichtlicher. Da wir es etwa vermeiden, in Läden einkaufen zu gehen und direkten menschlichen Kontakt zu haben, findet eine Verlagerung zur digitalen Kommunikation, zu Plattforminfrastrukturen und automatisierten Prozessen statt. Diese wird zwangsläufig langfristige Auswirkungen auf das technologische Ökosystem und noch größere Auswirkungen auf die Arbeit haben. Die immer wiederkehrenden technologiepolitischen Bedenken gegenüber Lock-ins, Netzneutralität, Datenüberwachung, die Frage des Besitzes von Daten – etwa die Forderung nach öffentlicher Eigentümer_innenschaft der Kommunikationsinfrastruktur – und die Kritik an der etablierten Macht technologischer Oligopole werden in dieser Situation erneut manifest. Und dies noch deutlicher als in Zeiten, in denen unsere digitalen Infrastrukturen reibungslos funktionieren.

Diese Session enthält im Gegensatz zu den meisten anderen Sessions keine praktischen Tipps (es sei denn, du bist Ingenieur. Sie bildet ein Archiv mit relevanten Nachrichten, die helfen können, gemeinsame Debatten und Überlegungen darüber anzustellen, welche Forderungen wir gemeinsam für eine gerechtere technologiepolitische Zukunft stellen sollten.

Konnektivität

Online-Videokonferenzen sind in den Vordergrund gerückt. Viele Management-Strategien rund um COVID-19 beinhalten die verstärkte Nutzung von VPNs und Online-Videochats, die auf eine digitale Infrastruktur angewiesen sind. Eine wachsende Zahl von Hochschulen verlagert den Unterricht auf Online-Plattformen. Doch nur wenige von uns sind sich der zusätzlichen Belastung, die der erhöhte Datenverkehr auf die Kapazität des Netzes und der einzelnen Anbieter ausübt, bewusst. Auch fragen sie sich selten, wie sich die Belastung auf diejenigen mit langsamerem oder eingeschränkterem Zugang auswirkt. In dieser Situation finden sich wichtige Online-Dienste, zum Beispiel Telefonkonferenzen zwischen Ärzten und Patienten, plötzlich im Kapazitäts-Wettbewerb mit weniger wichtigen Anwendungen und Spielen. In China etwa wurden mehrere grosse Abstürze gemeldet.

Die öffentliche Gesundheit und Sicherheit haben bei der Bewältigung des COVID-19-Ausbruchs oberste Priorität. Rechenzentren spielen hier eine wichtige Rolle, da sie unverzichtbare Technologie zur Unterstützung der Notfallkommunikation für öffentliche Einrichtungen, Notfalldienste und 911-Systeme bereitstellen. Auch große Krankenhäuser verlassen sich bei der Speicherung und Übertragung von Daten und Bildern auf Rechenzentren. Nur wenige sind sich bewusst, dass auch Rechenzentren unter einem enormen Druck stehen: Sie müssen weiterhin nahtlose Dienste anbieten und gleichzeitig ihr Personal schützen.

Quelle:

Die Rolle der Konnektivität ist etwas, das kollektiv reflektiert und verhandelt werden möchte. Einen möglichen Einstieg dafür bietet Ian Alan Paul:

Es scheint, dass mindestens zwei neue Arten von Subjektivität bereits begonnen haben, Gestalt anzunehmen. Sie konstituieren sich gegenseitig, sind eng miteinander verbunden, und sie werden von den informatischen Infrastrukturen und Maschinerien geprägt, die heute einen Großteil unserer planetarischen Gesellschaft durchwirken und organisieren. Zum einen manifestiert sich das häusliche/verbundene Subjekt, das in seiner Beschränkung auf das Zuhause dazu gedrängt wird, neue Wege zu erfinden, um sich mit der virtualisierten Ökonomie zu verbinden und daran an ihr teilzunehmen. Zum anderen tritt das mobile/verfügbare Subjekt immer deutlicher hervor, das der Pandemie als Zirkulations-System dient. Es ist ein Subjekt, das immer verletzlicher und prekärer wird, da es gezwungen ist, sich mit immer größerer Geschwindigkeit zu bewegen. Damit das häusliche/verbundene Subjekt sich materiell versorgen kann, muss es sich mit dem mobilen/verfügbaren Subjekt verbinden, das die materiellen Mindestbedürfnisse der Gesellschaft erfüllt und gleichzeitig die soziale Möglichkeit eines isolierten aber vernetzten häuslichen Lebens gewährleistet.

Quelle:

Roboter, Künstliche Intelligenz (KI) und die Automatisierung des Gesundheitswesens

Während der Unternehmenssektor die Vorteile digitaler Werkzeuge für das Gesundheitswesen betont, werden folgende Themen häufig vermieden: Die Überwachungs- und Datenerfassungs-Politik; den privaten Besitz von Schlüssel-Software und -werkzeugen, die für Krankenhäuser wichtig sind; den Verlust von Arbeitsplätzen im Pflegebereich und die Auswirkungen auf die Qualität der Pflege, wenn sie durch externe Dienste automatisiert und ferngesteuert wird.

IN CHINA: Chinesische Technologieriesen beschleunigen im Zuge des Corona-Ausbruchs ihre Bemühungen im Bereich der Gesundheitstechnologie –von Cloud Computing bis hin zu künstlicher Intelligenz (KI). Riesenunternehmen wie Alibaba, Baidu, Tencent, Huawei und DiDi haben neue, gesundheitstechnische Features eingeführt – etwa in Hinblick auf die Diagnose des und das Finden eines Impfstoffes gegen das Coronavirus.

Quelle:

Krankenhäuser in 10 chinesischen Provinzen vertrauen einem Roboter-Trio, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten: Ein Roboter wird zur Verteilung von Lebensmitteln eingesetzt, einer für die zur Desinfektion und vom dritten lässt man sich so führen, dass unnötiger menschlicher Kontakt vermieden werden kann.

Quelle:

China hat sich zum weltweit größten und am schnellsten wachsenden Markt für Industrierobotik entwickelt. Das Land verzeichnet einen Anstieg um 21% auf 5,4 Milliarden Dollar im Jahr 2019, während der weltweite Umsatz laut der International Federation of Robotics in Frankfurt 16,5 Milliarden Dollar erreichte. In China gibt es mehr als 800 Roboterhersteller, darunter die großen Unternehmen SIASUN und DJI Innovations. China ist auf dem besten Weg, bis 2021 45 % aller Industrieroboterlieferungen zu tätigen, gegenüber 39 % im Jahr 2019. Ein Roboter, der in einer 24-Stunden-Schicht arbeiten kann, kann drei Arbeiter_innen ersetzen und kostet zwischen 43‘000 und 72‘000 Dollar. Da die Gehälter in China in den letzten Jahren jährlich um bis zu 20 % gestiegen sind, sieht der chinesische Unternehmensberater Bill Edwards einen unvermeidlichen Schub für die Robotertechnik voraus. “Die Löhne in China sind nicht mehr billig”, stellte er fest.

Quelle:

Open Access

Der offene Zugang zu wissenschaftlichen Forschungs-Erkenntnissen bleibt eine der zentralen Forderungen nach einer gerechten Gesundheitspolitik. Laboratorien auf der ganzen Welt konnten sich über die Genomsequenzen des neuen Coronavirus (hCoV-19) über GISAID austauschen. GISAID ist eine Initiative, die den internationalen Austausch aller Sequenzen von Influenzaviren fördert, um Forscher_innen in ihrer Arbeit darüber wie sich die Viren entwickeln, verbreiten und möglicherweise zu Pandemien werden, zu unterstüzen. GISAID tut dies durch die Überwindung von Hindernissen oder Einschränkungen, die den Austausch von Influenzadaten vor der formellen Veröffentlichung erschweren oder verhindern: Die Initiative stellt sicher, dass der offene Zugang zu den Daten in GISAID kostenlos und für alle zugänglich ist. GISAID ist jedoch eine Ausnahme. Verbreitet werden medizinisch-wissenschaftliche Forschung und Daten als privatisierte Vermögenswerte aufbewahrt, aus denen Kapital geschlagen werden kann. 2015 waren liberianische Gesundheitsbeamte Mitverfasser einer Stellungnahme der New York Times, die bemängelte, dass zum Höhepunkt der Epidemie 2014 ein Grossteil der bestehenden kritischen Ebola-Forschung Wissenschaftler_innen und Mitarbeiter_innen des Gesundheitswesens unbekannt oder unzugänglich war.

Um die bestehenden Paywalls zu umgehen, hat eine Gruppe von Online-Archivare_innen im Januar 2020 ein Open-Access-Verzeichnis mit über 5.000 wissenschaftlichen Studien über Coronaviren erstellt, das jeder durchsuchen und herunterladen kann. Das Herunterladen wurde über Sci-Hub ermöglicht, einer kostenlosen wissenschaftlichen Forschungs-Datenbank, die bisweilen “die Piratenbucht der Wissenschaft” genannt wird. Laut Sci-Hub besteht Zugang zu über 78 Millionen Forschungsartikeln: es werden HTML- und PDF-Seiten aus dem Internet heruntergeladen, wobei in einigen Fällen die Paywalls umgangen werden. Aus diesem Grund haben große wissenschaftliche Verlage - allen voran Elsevier - Sci-Hub wiederholt wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt.

Quelle:

Die Reaktion der maker scene

Angesichts des weltweiten Mangels an medizinischer Versorgung und Ausrüstung diskutieren und mobilisieren verschiedene Hersteller und FabLabs über mögliche Bereiche der Intervention. Sie machen erneut auf das politische Konfliktpotential zwischen autonomen Technologien und der Notwendigkeit von Vorschriften und Normen aufmerksam. Dieser Konflikt lässt sich nicht schnell und einfach auflösen, sondern erfordert einen umfassenden Diskurs und eine breite kollektive Reflexion.

Eine Schlüsselszene aus Italien fand im Krankenhaus von Chiari (Brescia) statt, das sich innerhalb des Notfalls mit einem Notfall konfrontiert sah. Das medizinische Personal stellte fest, dass die für das Funktionieren eines Wiederbelebungsgerätes notwendigen Ventile ausgingen. Der Hersteller konnte aufgrund der hohen Nachfrage die notwendingen Ersatzteile nicht liefern. Eine örtliche 3D-Druckerei, die von einem Mailänder FabLab beauftragt wurde, wurde kontaktiert, und es war ihr in weniger als sechs Stunden möglich, eine Kopie des Ventils herzustellen. Der Hersteller droht nun jedoch mit einer Klage, und die Herstellung des Ventils könnte ohnehin auch zu rechtlichen Problemen führen, da es von den Gesundheitsbehörden nicht als sicher zertifiziert wurde. Die Italienische Republik könnte, wie viele andere auch, eine eventuelle Klage stoppen oder verhindern – sofern dies “im Interesse der militärischen Verteidigung des Landes oder aus anderen Gründen des öffentlichen Nutzens” geschieht. Und zwar mittels eines Gesetzes aus dem Jahr 2005 (LD 10. Februar 2005, Nr. 30, Art. 141), das die staatliche Enteignung registrierter oder patentierter gewerblicher Eigentumsrechte regelt, (über @Zoescope).

Quellen:

Das Problem mit der Online-Arbeit

Da viele Aufgaben und Treffen nun online stattfinden (einschließlich – ganz entscheidend – der Lehrtätigkeit), braucht es dringend einen von den Arbeitnehmenden geführten Diskurs über die Nutzung und das Eigentum an Online-Plattformen. Die momentane Entwicklung birgt die Gefahr, das Terrain für eine Umstrukturierung der Arbeitsbedingungen vorzubereiten. Weitere Entlassungen könnten gerechtfertigt und die Überwachung der Arbeitnehmenden verstärkt werden. Wichtig ist, dass Fragen zur Eigentümerschaft an dieser technologischen Infrastruktur (heute meist im Besitz von Unternehmen, die über die Lizenzen und durch den Weiterverkauf der gesammelten Daten Gewinn erzielen) gestellt werden. Auch Fragen zur Privatsphäre, zu Opt-out-Optionen für die Nutzenden und Diskussionen über die Kontrolle über die generierten Inhalte (z. B. die Aufzeichnung von Vorlesungen, die dann als Ersatz für “richtige” Lehrpersonen weiter- und wiederverwendet werden können) sind wichtig.

Wenn du einer Gewerkschaft angehörst oder wenn dein Arbeitsplatz Instrumente zur Auslagerung und Fernsteuerung von Arbeitsabläufen einführt, solltest du in Erwägung ziehen, diese Probleme anzusprechen und unter Umständen eine Untersuchung darüber einzuleiten, welche Instrumente wie eingesetzt werden.

Im Folgenden denkt eine Lehperson über die Eilmassnahmen zur Verlagerung der gesamten Unterrichtstätigkeit nach online nach:

Für meine Kolleg_innen, die dazu angehalten werden, einen Teil oder den ganzen Rest des Semesters online abzuhalten, ist jetzt die Zeit gekommen, um einen schlechten Job zu machen. Sie bauen KEINE Online-Klasse auf. Sie unterrichten KEINE Studierenden (obwohl diese bereit sind, online zu lernen). Und – was am wichtigsten ist – ihre Klasse ist momentan NICHT die höchste Priorität in ihrem Leben. In diesem Sinne: Befreie dich jetzt von hohen Erwartungen, denn das ist der beste Weg, den Studierenden beim Lernen zu helfen. Wenn du gerade die Pädagogik des Online-Lernens anfängst zu entdecken oder merkst, dass es einige ziemlich großartige Werkzeuge gibt, um die Schüler online zu unterstützen, höre damit auf. Höre jetzt auf. Frag dich selbst: Ist mir das wirklich wichtig? – Wahrscheinlich nicht, sonst hättest du die Welt der Online-Pädagogik schon früher erforscht. Versuche ich bloss zu beweisen, dass ich ein/e Teamplayer_in bin? – Das bist du, und lassen dich in dieser Funktion nicht von deiner Universität ausnutzen. Oder versuche ich, mich angesichts einer Pandemie zu beruhigen, indem ich etwas tue, das ein normales Lebensgefühl vermittelt? – Falls dies der Fall ist, höre auf und setze deine Energie besser ein, z.B. indem du für Räumungssperren protestieren oder Säcke mit Lebensmitteln für Kinder einpacken, die keine Mahlzeiten bekommen, weil die öffentlichen Schulen schließen).

Quelle:

Andere Resourcen aus dem Pirate-Care-Syllabus

Weiterführende Texte